So sterben wir. Unser Ende und was wir darüber wissen sollten.
Piper Verlag, 3. Auflage, April 2022, 239 Seiten, 12.– €
ISBN 978-3-492-31621-7
Roland Schulz, Jahrgang 1976, ist Reporter. Er arbeitete unter anderem für Geo und Die Zeit. Seit 2012 schreibt er für das Magazin der Süddeutschen Zeitung.
Es sind die letzten drei Kapitel, die unser Leben schreibt, die Roland Schulz so bemerkenswert in Worte fassen kann: Sterben – Tod – Trauer.
Bemerkenswert, weil der Autor nicht nur genau beschreibt, was z.B. beim Sterben biologisch passiert, sondern weil er es auch vermag, die Leser*innen an ihre Gefühle zu bringen. So sind es nicht wieder nur die anderen, wie die alte Dame im Altersheim, das leukämiekranke Kind oder der leichtsinnige Jugendliche, die auf ihrem Weg von Sterben, Tod und Trauer begleitet werden, nein, auch ich als Leser*in werde Teil der Geschichte, werde in das Geschehen hineingezogen.
Das berührt sehr, weil es einen trifft. Wie wird es sich beispielsweise für mich anfühlen, wenn mir bewußt wird: Es war das letzte Mal… das ich verreist bin, Freunde getroffen habe, einkaufen war, auf die Toilette gehen und mich selbst waschen konnte? In eindringlichen Worten beschreibt der Autor, was mit mir passieren kann, passieren wird, wenn ich sterbe. Körperlich, aus meiner Sicht, aus Sicht der Angehörigen und aus Sicht der Ärzte – verbunden mit all den Irrtümern und Erfahrungen, die das Sterben am Ende schwerer oder leichter für mich machen können. "Du stirbst nicht, weil du nichts mehr isst. Du isst nichts mehr, weil du stirbst." sind solche Sätze, die hängen bleiben.
Wenn das Sterbebett dann zum Totenbett wird ist das wichtigste, was getan werden muß: Nichts. Rein gar nichts. Eine kostbare Zeit zum Innehalten und Abschied nehmen. In aller Ruhe, vielleicht auch Stille – bevor der Staffellauf von Bürokratie und Bestattungswesen Fahrt aufnimmt. Wie ein unsichtbarer Dritter beschreibt Roland Schulz was nun bei (m)einer Leichenschau geschieht, wie kompliziert ein Totenschein auszufüllen ist, warum eine Leichenstarre kommt und geht, wie seriöse Bestattungsunternehmen arbeiten, was beim Waschen eines Toten zu beachten ist oder welche kleine Tricks und Kniffe möglich sind, um Mund und Augenlieder zu schließen… bis hin zum Kremieren geht es ins Detail.
Was bleibt ist die Trauer der Angehörigen, Freunde und Bekannten in all ihren Formen und Farben. Sie wird immer da sein. Das Andenken hingegen wird schwinden, wie die Stimme, der Geruch, die Art des Lachens, an die man sich bald nicht mehr erinnern kann. Auch "Die Menschen, die um dich trauern, werden weniger. Die Generationen deines Lebens rücken voran, Kinder werden Eltern, Eltern zu Großeltern, Großeltern sterben… Auch die Menschen, die dein Sterben begleiteten… hegen bis zum Ende die alte Hoffnung: Der Tod? Das war doch immer der Tod der anderen, nie der eigene. Aber wir werden alle sterben…"
Mein Fazit: "So sterben wir" ist sehr dicht geschrieben, voller Details und (für mich) neuer Erkenntnisse. Einmal Lesen reicht wahrscheinlich nicht, um alles zu erfassen. Es macht für mich einen Unterschied, es gelesen zu haben, und ersetzt gefühlt so manches Seminar zur Selbsterfahrung. Vieles verstehe ich jetzt besser und besser kann ich mich auch einfühlen, wenn der „Staffellauf“ beendet ist und die Trauer bleibt.
Das Buch wirkt nach. Es schont einen nicht, ist ehrlich und nah. Es zieht einen hinein ins letzte Geschehen und macht wachsam und achtsam für das verbleibende Leben im Jetzt.